Nach der Veröffentlichung meiner Lebensgeschichte im letzten Jahr absolvierte ich in den Buchhandlungen Absaloms, wo ich mich nach meiner Zeit als Abenteurer niedergelassen hatte, viele Autorenlesungen. Die Geschichte meines Lebens war ein Bestseller geworden. Die erste Frage, die man mir immer stellte war, wieso ein Barbar, noch dazu ein Halbork, lesen und schreiben und sogar zu einem Erfolgsautor werden konnte. In der nun vorliegenden zweiten Auflage will ich mir das ersparen und meine Geschichte von Anfang an erzählen. Meine Mutter war eine Adelige Frau aus Mendev, genauer gesagt aus der Hauptstadt Nerosyan. Ihr Name war Boldana von Tiberiu. Sie war die Frau des Handelsherren Dortlin von Tiberiu, der General im Heer der Kreuzfahrerkönigin Galfrey war. Wie ihr wisst, meine lieben Freunde, liegt die Hauptstadt Mendevs direkt an der Weltenwunde und ist immer wieder den Angriffen von Dämonenhorden ausgesetzt. Trotz der vielen Kreuzfahrer, die das Heer Mendevs verstärkten, gelang es nicht immer, Nerosyan vor den Angriffen der feindlichen Horden zu schützen und so begab es sich vor nun fast 70 Jahren, dass eine Bresche in die Stadtmauer geschlagen wurde und die feindlichen Krieger, unter ihnen auch viele Orks, in den Straßen der Hauptstadt wüten konnten. Das Heer der Kreuzfahrer konnte sie zwar zurückdrängen, aber für meine Mutter war es zu spät. Sie wurde von einem großen Ork brutal vergewaltigt. Der Ork wurde zwar getötet und das Dämonenheer vor der Stadt vernichtend geschlagen, aber was half das noch? Wäre meine Mutter damals ermordet worden, hätte sie wenigstens ihre Ehre behalten, aber so war nach einigen Monaten die Schande in ihr nicht mehr zu übersehen. Ja, meine lieben Freunde, diese Schande war ich. Dortlin von Tiberiu wollte den Makel nicht akzeptieren und verbannte meine Mutter in ein Kloster von Iomedae, deren Kirche in Mendev Staatsreligion war. Dort kam ich zur Welt und wurde von meiner Mutter Henric getauft. Damit war mein voller Name Henric von Tiberiu. Meine abartige Herkunft sah man mir zwar überdeutlich an, aber meine Mutter liebte mich seltsamerweise dennoch. Auch die Nonnen akzeptierten mich und so war meine Kindheit in diesem abgeschiedenen Kloster insgesamt sehr glücklich. Ich lernte Lesen und Schreiben. Ich hatte sogar die Gelegenheit etwas von den Wissenschaften zu erlernen, da die Äbtissin eine hochgebildete, weise Frau war.
Nachdem ich zu einem jungen Mann herangewachsen war – meine Herkunft hatte ich schon fast vergessen und mein Erscheinungsbild hatte im Kloster keine Rolle gespielt - musste ich diese kleine, heimelige Welt verlassen. Der Erzpriester, der bisher beide Augen zugedrückt hatte, bestand darauf. Meiner Mutter brach es das Herz, aber ich war sehr zuversichtlich, dass ich bei meiner umfassenden Bildung meinen Weg machen würde. Ich sollte mich täuschen. Ich hatte nicht mit der hässlichen Welt außerhalb des Klosters gerechnet…
Ich begab mich frohen Mutes nach Nerosyan, wo ich umgehend eine Stellung als Lehrer an einer Schule zu bekommen hoffte. Doch schon beim Betreten der Stadt bemerkte ich, dass mir die Menschen mit Angst und Ablehnung begegneten. Ich wurde überall hinausgeworfen. Nicht einmal der schlechteste Gasthof nahm mich auf. Meine erste Nacht außerhalb des Klosters musste ich im Freien verbringen. Auch in den nächsten Tagen wollte mich niemand haben. Weder die Armee akzeptierte mich, noch irgendein Handelskontor. Selbst für niedrigste Arbeiten mit geringster Bezahlung wollte niemand einen Bastard wie mich. Mir blieb nichts anderes übrig, als Nerosyan zu verlassen, aber wohin sollte ich mich wenden? Richtung Weltenwunde sicher nicht. Ich hätte dort vielleicht bei einem Orkstamm Unterschlupf gefunden, aber diese Hälfte meiner Herkunft wollte ich nicht weiter verfolgen. Ich hätte sie aus mir herausgeschnitten, wenn mir das möglich gewesen wäre. Ich entschied mich also, einfach dem Grenzfluss zu Numeria nach Südwesten zu folgen. Meine lieben Freunde, ich möchte euch die Einzelheiten meiner nun folgenden Wanderung gerne ersparen. Es soll reichen, dass ich hier lernte, in der Wildnis zu überleben und dass ich merkte, dass ich – wahrscheinlich angeboren – ein gewisses Talent zum Kämpfen besitze. Dennoch überlebte ich nur knapp, bis ich eines Tages auf der numerischen Seite des Flusses eine Siedlung liegen sah. Es war mir völlig egal, wer dort wohnte, ich durchschwamm den Fluss und erklomm das jenseitige Ufer. Dort verlor ich das Bewusstsein. Als ich erwachte, lag ich in einer primitiven Lehmhütte, die vor Dreck starrte. Eine alte, seltsam aussehende Frau pflegte mich gesund. Es gab zwar fast nur Fisch zu essen, aber der war immerhin nahrhaft und ich erholte mich rasch. Das Volk, das hier wohnte, nannte sich Kelliden und das Dorf war Dravod Klopf. Das waren einfach gestrickte Barbaren, die hier recht und schlecht überlebten. Da mir nichts anderes übrig blieb, gewöhnte ich mich an den Dreck und den Fisch und lernte hier endgültig das Kämpfen. Sie glaubten an einen Gott namens „Gorum“. Aus Dankbarkeit ließ ich die seltsamen Zeremonien dieses Gottes über mich ergehen. Ich ließ mich vom Schamanen sogar tätowieren, aber mein Herz wird immer Iomedae gehören. Mit meinem Namen konnten sie nichts anfangen und nannten mich „Grond“. Das bedeutet so viel wie „Monster“ oder „Bestie“. Mein Aussehen schien auch bei ihnen keine sehr positiven Assoziationen zu wecken… Bei aller Primitivität war das Kämpfen etwas, das die Kelliden wirklich beherrschten. Und sie taten gut daran, denn sie führten ein unabhängiges Leben, was in Numeria nicht allen recht war, wie ich bald erfahren sollte…
Numeria wurde von einem barbarischen schwarzen Herrscher regiert, dessen Schergen sich „Technikliga“ nannten und die jeden Widerstand im Keim erstickten. Die Unabhängigkeit der Kelliden war ihnen naturgemäß ein Dorn im Auge und sie überfielen regelmäßig das Dorf. Im offenen Kampf hatten die Kelliden gegen sie keine Chance, da sie magische Waffen und Ausrüstung hatten, die nicht von dieser Welt zu sein schienen. Die Kelliden konnten diese Dinge nur sehr vage beschreiben, aber ich hatte in der Bibliothek des Klosters ein Buch über diese Besonderheit Numerias gelesen, wie ich mich nun erinnerte. Die Kelliden konnten also nur mit Guerillataktiken überleben, worin sie Meister waren. Dennoch wurde das Dorf regelmäßig zerstört, wobei die meisten Bewohner allerdings überlebten, da sie sich in der Umgebung versteckten. Sie wünschten sich natürlich nichts sehnlicher, als das Ende dieser Überfälle. Nachdem ich einige Jahre bei ihnen gelebt hatte und diverse Male die Überlegenheit der Technikliga am eigenen Leib verspürt hatte, dachte ich, dass es an der Zeit sei, das Dorf zu verlassen und Numeria zu erforschen. Ich wollte herausfinden, wo die Schwächen der Technikliga lagen und ob nicht die magische Ausrüstung dieser grausamen Söldner auch für mich und die Kelliden nutzbar wäre. Die Dorfgemeinschaft wusste natürlich um meine Geschichte, hatte ich doch die Kinder lesen und schreiben gelehrt und versucht, ein besseres Leben für die Kelliden zu ermöglichen, indem ich ihnen einige zivilisatorische Errungenschaften näher brachte.
So statteten sie mich mit dem besten an Ausrüstung aus, was sie zur Verfügung hatten. Das waren auch einige Beutestücke der Technikliga. Ich machte mich also auf den Weg. Mir wurde geraten, mich zunächst in die Stadt „Fackel“ zu begeben, da dort einige Kelliden wohnen würden, die mir vielleicht wertvolle Hinweise auf Schwächen der Technikliga und Möglichkeiten, deren Waffen oder Rüstungen zu erbeuten geben könnten. Ich erhielt einen kleinen Talisman, an dem sie erkennen sollten, dass ich ein Abgesandter des Dorfältesten von Dravod Klopf war.
Die Reise durch Numeria verlief ohne größere Zwischenfälle, da ich inzwischen gelernt hatte, den Schergen des dunklen Herrschers aus dem Weg zu gehen. Eines Tages lag Fackel vor mir und ich sah, dass dieser Name sicher kein Zufall war. Die Stadt lag unterhalb eines riesigen, schwarz glänzenden Hügels. Auf dessen Spitze brannte eine große violette Flamme, die besonders nachts sicherlich schon aus großer Entfernung zu sehen war. Ich begab mich also in den Ort und fand tatsächlich Unterschlupf bei einer kellidischen Familie, die hier lebte. Am nächsten Tag wollte ich dann Fackel näher erkunden. Mir war bewusst, dass ich hier meine wahre Herkunft verbergen und mich wie ein Barbar benehmen musste, um den Bütteln der Technikliga nicht aufzufallen.
Tagebuch eines Barbaren
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roscoe_rapid 08 Feb 2017 18:48
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